Samstag, 3. Mai 2014

Karneval!

Karneval. Ein den Februar und März alles dominierende Thema. In Österreich war mir dieser Verkleidungszirkus immer etwas zuwider. Hier in Ecuador gestaltet sich das Ganze jedoch eine Spur anders …
 
Wasser ist das Schlagwort schlechthin: Es wird mit Pistolen bespritzt, Bomben geworfen und Flaschen (bzw. Eimer, wenn man besonderes Pech hat) übergossen. Und dabei sind nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern alle Altersklassen betroffen. Da heißt es dann also, wenn dir eine Gruppe mit Wasserkübeln entgegenkommt, rechtzeitig die Straßenseite zu wechseln, sich vor vorbeirauschenden Autos und Bussen mit geöffneten Scheiben in Acht zu nehmen und sich gewahr sein, dass beim Passieren einer Häuserwand jeden Moment etwas von oben kommen könnte. Dieser nasser Brauch ist im ganzen Land verbreitet, wenngleich im Hochland von ganz anderen Umständen geprägt: Es pflegt in den Faschingswochen zu regnen und mitunter empfindlich kalt zu werden …
 
Weitere Schlagwörter: Mehl und Schaum; letzteres gibt es in Sprühdosen jeder Größenordnung zu kaufen. Die Straßen verwandeln sich in Schaumbäder und der süßliche Geruch lässt sich auch von den vermehrt auftretenden Regengüssen nicht vertreiben.
 
Ob man das alles nun mag oder nicht, drum herum kommt man sowieso nicht. Will man sich also nicht einen Monat zu Hause verbarrikadieren, ist Humor gefragt – und ein Vorrat an Plastiksäckchen, in die man zur Sicherheit Geld und Handy packen sollte.
 
Die (Vor-)Karnevalszeit verbringe ich im Dorf. In der Arbeit schmücke ich das Wohnzimmer der Abuelitos mit Girlanden und selbstgebastelten Clowns. Zu meinem Pech hat sich auch in die Fundacion eine Schaumkanone eingeschlichen … Und als ich mit einem Wasserkrug zum Gegenschlag ausholen will, geht die Ladung unbeabsichtigterweise direkt auf die religiösen Schwestern nieder.
 
Während meine Gastfamilie anlässlich der Feiertage traditionsmäßig ein Schwein schlachtet, ziehe ich die tierfreundlichere Variante vor: „El Carnaval de las Flores y Frutas“ in Ambato. Die Provinzhauptstadt liegt in der Sierra, etwa auf Wegmitte zwischen Cuenca und Quito. Jene andine Strecke ist unter der Bezeichnung „ruta de los vulcanes“ (Vulkanstraße) bekannt, als Namensgeber gilt Alexander von Humboldt. Und tatsächlich – bei Riobamba, einer Stadt unweit von Ambato, bekommen wir erstmals den Chimborazo und den schneebedeckten Bergrücken des Carihuairazo zu Gesicht. Solche Naturgewalten lassen einem nicht kalt.
 
Ambato selbst liegt in einem weitläufigen Kessel, begrenzt von Bergketten, um die sich tiefhängende Wolken ballen, die nicht selten Regen mit sich tragen … Die Stadt, die kaum über touristische Attraktivität verfügt, scheint in der Faschingszeit wie ausgewechselt – die wenig verbleibenden Übernachtungsmöglichkeiten sind überteuert, die Straßen mit Menschen bevölkert und es herrscht ununterbrochen Feierstimmung.
 
Nach unserer samstäglichen Ankunft erkunden wir in einem nächtlichen Spaziergang die Stadt – Musik erschallt an jeder Ecke, Essensgeruch weht durch die Gassen, Feuerwerke erhellen den Himmel, Straßenkomiker locken Schaulustige an … Um Mitternacht beginnen die Vorbereitungen für den kommenden Tag: Das Zentrum wird autofrei abgesperrt und Sitzgelegenheiten werden aufgestellt. Ich kann es erst gar nicht glauben, doch, um sich die besten Plätze zu sichern, übernachten viele draußen, auf Klappstühlen, eingemummelt in Decken …
 
Auch wenn wir am nächsten Morgen früh aufstehen, sind die Gehsteige bereits von Menschenmassen besetzt und wir bekommen es glatt mit der Angst zu tun, den legendären Umzug aus reiner Sichtbeschränkung zu verpassen … Mit mehr Glück als Verstand ergattern wir schließlich doch noch ein freies Fleckchen Asphalt, quasi „front row“. Und ist es nachts so kalt, dass man sich über dazugesellenden Schnee nicht wundern würde, brennt die Sonne zur Mittagsstunde derart vom Himmel, dass man sowohl auf der bloßen Straße als auch auf meiner Kopfhaut Spiegeleier braten könnte. Sonnenbrand ahoi! (Diese extremen Wetterzustände sind ein typisches Phänomen in Ecuador bzw. der Sierra.)
 
All das vermag jedoch in keinster Weise den dargebotenen Umzug zu trüben, der zu Recht ald der berühmteste des Landes gilt: Zwei Stunden lang zieht an mir ein buntes Spektakel an Tänzern, Akrobaten, Musikern und Schönheitsköniginnen vorbei. Die riesenhaften Gefährte wurden in Kleinarbeit mit Früchten, Gemüse, Brot oder schlicht wiederverwertbaren Materialien, wie Plastikflaschen, ausgestaltet und an der Vielfalt an Kostümen kann man sich gar nicht genug sattsehen. Die Prozession endet mit Besuchern anderer Länder, wie die Ukraine oder Niederlande, und der Darbietung landestypischer Tänze.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
dieses Meerschweinchen fungiert
als Koch und Speise gleichzeitig
 
 
 
Danach beginnt ein Spektakel sondergleichen – die breite Hauptstraße bevölkert eine Flut an Feiernden, die eine wahre Schaumschlacht einläuten. Nichts und niemand wird verschont! Und wenn sich zwei Gruppen, ausgestattet mit Schaumkanonen, begegnen, drängt sich bei mir automatisch dieser Wer-Ist-Schneller-Beim-Zücken-Der-Waffe-Westernvergleich auf.
 
Im Anschluss daran begeben wir uns auf eine erhöhte Ansiedlung am Stadtrand, wo wir einem Eselwettrennen, einem orchesterbegleiteten Faschingsumzug und einem „Mastklettern“ beiwohnen. Was es mit zuletzt genannten Brauch auf sich hat? Am Ende eines meterhohen Baumstammes baumeln Geschenke, die von jedem Wagemutigen erstanden werden können. Auftretende Schwierigkeiten: Der Mast ist mit reichlich Fett bestrichen und ohne jegliche hilfestellende Ein- und Auskerbung.


 
 
beste Verkleidung des Tages
 
 
 
 
sogar in der Markthalle spürt man die Feierstimmung
 
 
Am Montag verabschieden wir uns mit einem letzten Abstecher ins Zentrum. Dort herrscht ein farbenfrohes Gewusel – Stimmengewirr vermischt sich mit den unterschiedlichsten Musiktönen, Tänzer gruppieren sich zu kleinen Choreographien, Magier bieten ihre Künste neben jenen von Portraitmalern an, der Parkzaun gleicht einer Galerie, vollgestellt mit Gemälden und Kunsthandwerken …
 
 
 
Ausblick: zu Füßen eines Vulkans, Wasserfälle, Kraterlagune … Naturwunder!
 

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